Kurts 1662 Tage

– ein Tagebuch aus dem 1. Weltkrieg

Früh 50 Wecken. Alarm. Die Komp. rückt nach französisch Avricourt wo sie Schützengraben aufwirft. Wir rücken auf den Stellplatz der Bagage, wo wir im strömenden Regen den ganzen Tag verbringen. Am Nachmittag wurden die Wagen
von der durchweichten Wiese auf eine Nebenstraße gefahren, Burger und ich suchten in einem Hause trockenen Unterschlupf und kamen zu einem Schuhmacher. Hier war große Aufregung. Man befürchtete eine abermalige Kriegswende und schickte die greise Großmutter nach Koblenz. Diese wollte nicht, aber als man ihr bedeutete, daß sie im Falle der Gefahr nicht schnell genug ausreißen könne, machte sie sich mit den kleineren Enkelkindern reisefertig. Unsere Versicherungen, daß die Franzosen nicht kamen, verhallten ungeglaubt. Nachdem der Regen nachgelassen hatte kochten wir aus in den Gärten schnell gepflückten Pflaumen einen Mus. Dieser war noch nicht ganz fertig, als wir Abmarschbefehl nach Avricourt erhielten. Dort lag die Komp. in Quartieren, als wir im Dunkel der Nacht eintrafen. Ich bezog eine Schulstube und ruhte dort, wo einst ein französischer Lehrer seinen Kindern den Haß gegen das eroberungssüchtige Deutsche Reich predigte, unter einer Wolldecke von den Anstrengungen der letzten Tage.

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