Kurts 1662 Tage

– ein Tagebuch aus dem 1. Weltkrieg

Handschriftlich in Sütterlin: Sonntag den 6. September 1914.

Früh mit dem grauenden Morgen nach La Voivre aufgebrochen. Dort im neu
eingerichteten Proviantamte gefaßt. Feldwebel Winkler und ich erledigten in einer Stube Bureauarbeiten nachdem wir uns vorher am Brunnen wieder einmal gewaschen hatten. In einer Scheune waren Verwundete und warteten auf Abholung. Vor unserem provisorischen Geschäftszimmer erschallte der französische Gesang spielender Kinder, welche trotz der in ihrer Umgebung herrschenden Kriegsnot sorglos im Ringelreihen sich belustigten. In der Stube verrieten viele Bilder und Kruzifixe die Heiligkeit der katholischen Bewohner.

Am Pfarrhause und an der Mairie waren große Plakate, welche dem französischen Volke Kenntnis von der Verlegung der Regierung nach Bordeaux gaben und Bordeaux zur alleinige Hauptstadt Frankreichs ausriefen. Mit dem Wunsche, daß der für Zivilisation, Recht und Kultur kämpfenden, großen Nation: ein Sieg beschieden sein möge, schloß der von Poincarée gezeichnete Aufruf. Ich nahm ein Exemplar für Feldwebel Winkler mit, konnte aber leider für mich keins erwischen.

Affiche française : déclaration de monsieur Poincaré et des membres du Gouvernement, annonçant leur départ de Paris pour Bordeaux, 2 septembre 1914.
Photo: Ministère de la Culture (France), Médiathèque du patrimoine et de la photographie, diffusion GrandPalaisRmn Photo

Mittags wurde in glühender Sommerhitze nach La Hollande gefahren wo die Bagage parkierte. In einem schönen Häuschen machten wir uns hier wieder an die eiligsten Schreibarbeiten.

Die Bewohnerin war eine geborene Deutsche ihre Kinder sprachen auch einigermaßen
deutsch. Als ich nach dem Mittagessen auf dem Rasen ein wenig ruhte und mich der
herrlichen Natur erfreute, begrüßte mich ein greises Ehepaar, welches auf der Nachbarbank im Nachbarhause gesessen hatte. Es hatte den Krieg von 1870 schon über diese Gegend brausen sehen. Ich konnte mich mit diesen offenbar gutmütig gesinnten Franzosen gut verständigen. Sie waren kindlich erfreut über einige ihnen gereichte Feldzwiebacke.

Abends ging es von der Straßenkreuzung bei La Hollande nach rechts, anstatt, wie bisher üblich links durch das ganze im Gegensatz zu den Nachbardörfern gut erhalten schöne Dorf nach Étival und St. Remy. Dort warteten wir auf Ordonnanzen von der Kompangie, welche aber nicht kamen, weswegen wir im Dunkel, der Nacht umkehrten und in einer Scheune in Étival im Heu schließen. Es war schon Mitternacht, als wir zur Ruhe kamen.

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