
Morgens 6 mußte ich eilends zu Herrn Major von Schönberg unserem ehemaligen Kompagniechef, um ihm einen dringenden Befehl zu über bringen. Die Straßen waren noch leer, nur die Ordnungen eilten, von Haus zu Haus Meldungen überbringend und abholend. An den Veröffentlichungssäulen klebten große Plakate, welche die Mobilmachungsbestimmungen, Vorschriften, über Verhalten bei Einquartierungen und die neuen Eisenbahnpläne bekannt gaben. Außerdem fand ich ein Extrablatt das verkündete: „Der russ. Kriegshafen Libau in Brand geschossen durch den Kreuzer Augsburg“. Diese Nachricht erweckte große Freude, mußte doch dieser kühne Streich am ersten Tag des Krieges unserem Gegner, und denen dies mit ihm hielten, Furcht vor Deutschlands Waffen einflößen. Mit berechtigten Zorne wurde dagegen die Nachricht in Empfang genommen, daß Französische Flieger auf die nicht als Festung
hergestellte Stadt Nürnberg, Bomben, geworfen hatten, ohne daß uns Frankreich den Krieg erklärt hätte. Als ich der Kaserne wieder zustrebte, fiel mein Blick auf manches verweintes Frauenauge, welches den teuren Gatten traurigen Herzen zur Fahne eilen sah. Aus all den ernsten Gesichtern sprach der Schreck über die plötzliche Wahrheit des Krieges mit seinen Nöten. Die bange Frage werden wir dem riesenhaften Koloß Rußland, stand halten können auch, wenn seine Freunde mit gegen uns kämpfen, ließ manchen guten Deutschen zittern. Es war außer Zweifel, daß wir den Kampf auch gegen Frankreich führen mußten, dagegen hofften viele auf eine englische Neutralität. Unter den Kameraden hatte der Krieg eine echt soldatische Kampfesstimmung erzeugt. Vor allem waren die vom ersten Jahrgang froh, auf diese Weise über den ihnen unliebsamen strengen Exerzierdienst wegzukommen. Niemand dachte an den Tod und die Schrecken, wußte man doch daß damit nichts zu ändern war. Jeder packte seine Eigentumssachen um sie nach Hause zu schicken, bei den 177. hatte jeder ein Paket fertig gemacht, dessen Absendung das Ersatzbataillion besorgte. Mittags kam Hellmuth, um abzuholen, was mir unnötig erschien. Er konnte die ihm ja längst bekannten Leute in meiner Stube bei ihren Vorbereitungen sehen. Unterwegs
hatte er berichtet, wie eine Frau verhaftet wurde, welche sich als englischer Spion entpuppte. Nach anderen Mitteilungen hatte man am Hauptbahnhof zwei als Telegraphenarbeiter verkleidete Russen festgenommen, als sie die Leitungen
zerstören wollten. Auch ein Anschlag auf das Telegraphenamt wurde vereitelt. Alles zeigt, wie wir auch im Inlande vor den Feinden auf der Hut sein müssen. Nachmittags
besorgte ich viele Einkäufe für meinen Kompagniefeldwebel Leuschel, sodaß sich der Tag zu Ende neigte, ohne mich zur Ruhe gebracht zu haben. Ermüdet war ich froh, schon um 9 Uhr entlassen zu werden.
Hinterlasse einen Kommentar