Kurts 1662 Tage

– ein Tagebuch aus dem 1. Weltkrieg

Der Unteroffizier vom Dienst verkündet schon beim Wecken, daß die 2. und 6. Kompagnie morgens 4 Uhr nach der Garnison, abgerückt sind wegen drohender Kriegsgefahr. Diese Nachricht bringt eine außerordentliche Aufregung in unsere Kompagnie. Jeder fragt sich: Warum nur diese beiden? Wann kommen wir an die Reihe. Ist die Mobilmachung schon angeordnet? usw., ohne das bestimmte Auskunft gegeben werden kann. Als wir vor die Baracke treten schlägt uns ein kalter Regen ins Gesicht, der auch den ganzen Tag nicht nach lässt. In großen Sätzen erreiche ich die nahe Anschlagsäule, an der immer die neuste Ausgabe des Berliner Tagblattes aufgehangen wird. Hier sehe ich, daß gestern Österreich-Ungarn an Serbien den Krieg erklärt hat. Der Leiter, von Englands auswärtiger Politik, hat ein Telegramm an Europas Großmächte gesandt, daß den Krieg auf seinen Herd beschränken soll, wogegen Rußland in vielen Bezirken mobil macht. Es ist also der Friede unseres Vaterlandes, welches zufolge seines Bundes einem Angriffe Rußlands, auf Österreich nicht zusehen könnte, bedroht. Doch trotzdem findet die geplante Besichtigung des 1. Battalions 100 statt. An Stelle der fehlenden 2. Kompagnie tritt die 7. K. ein, während das dritte Bat, dessen 10. Komp, der sächs. Kronprinz Georg führte, den Feind markierte. Die 5. Kompagnie mußte die Quartiere der plötzlich abgerückten Kompagnien (2. u. 6.) in Ordnung bringen und übergeben, während die 8. K. an Stelle der 6. ein Belagerungsschießen haben sollte. Wegen des nicht endenden Regens wurde daraus nichts und wir hatten Zeit unsere Sachen so zu packen, daß wir den beiden Komp. folgen konnten. Als um 4 Uhr der Befehl eintraf: „Alles marschbereit machen, um 6 Uhr Quartiere übergeben.“ fand er uns gerüstet. Dies war recht gut, denn es begann eine fieberhafte Tätigkeit. An Stelle des anderweitig beschäftigten Unteroffiziers Wolf führte ich die Korporalschaft, mußte
also aller halben Stunden zum Feldwebel, um neue Befehle in Empfang zu nehmen. Aller 5 Minuten mußte jede Korporalschaft einen oder mehrere Leute zu irgend einem Transport, zu einem Gepäckverladen usw. stellen, sodaß ich bald keine Leute mehr hatte und mein Stubengerät, selbst zur Übergabe fertig machen mußte. Ich war sehr froh, als es wenigstens stimmte trotz des Durcheinander im ganzen Lager. Um 8 Uhr verließen wir das Lager. Es gab so viele Einrichtungen, welche uns hier nicht behagt hatten und doch gingen wir unter diesen ungewissen Verhältnissen nicht gern. Um 10 wurden wir verladen. Eng zusammengesteckt in einem alten Wagen 3. Klasse ging es im Dunkel der Nacht nach Dresden. Zuletzt fuhren wir auf dem Umweg über die Niederwarther Brücke Cotta, Friedrichstadt nach dem Güterbahnhof Dresden-Neustadt, wo wir morgens 3 Uhr den Zug verließen. Schweigend marschierten wir durch die Bautzenerstraße nach unserer Kaserne, wo wir uns um 4 noch einige Stunden zur Ruhe legten.

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